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Ben

Der dicke Mann, der nicht dick war

 

Eines Tages im Jahr 2013 klingelte mein Telefon. Angela, eine befreundete Hundetrainerin, meldete sich: "Hallo Richi, ich habe da mal eine Frage. Du hast doch in Deinem Leben schon einige Pommes mehr gegessen. Ich arbeite hier gerade mit einer Familie und deren acht Monate alten Rottweiler-Schäferhund-Mix. Der ist ein bisschen … schwierig. Kannst Du Dir den mal angucken?"

Ich lächelte, hoffte, dass Angela mit den Pommes daneben liegt und fuhr los in Richtung Walsrode. Vor der Tür traf ich auf Angela. Sie instruierte mich mit dem Nötigsten. Dann betrat ich das Haus. Das ist also Ben, dachte ich mir. Ein für sein Alter und seine Rasse schon recht großes Hündchen fixierte mich mit seinen Augen, knurrte aus tiefem Herzen und zeigte mir seine geputzten Zähne. Nette Begrüßung …

Es war ziemlich schnell klar, dass die Familie mit Ben überfordert war. Später stellte sich heraus, dass der Sohn der Familie den Hund misshandelte und der Hund aus diesem Grund Menschen nicht gerade sympathisch fand. Er hatte bereits mehrmals gebissen und sollte eingeschläfert werden. Eigentlich ein hübsches Kerlchen, dachte ich und zum Einschläfern irgendwie auch zu schade.

Ziemlich gefährlich wird es, wenn bei mir das Hirn aussetzt und das Herz beginnt, schneller zu schlagen. So verabredeten wir uns einige Tage später. Ich fuhr erneut nach Walsrode. Dieses Mal, um Ben mitzunehmen und ihm ein neues Leben bei mir zu schenken. Verabredet wurde, dass ich in die Kneipe nebenan gehe und warte, bis das Frauchen bei Ben einen Maulkorb raufgedängelt hatte. Eine Sache von fünf Minuten. Eigentlich … Es vergingen gleich mehrere Stunden. Es war schon nach Mitternacht, als das Handy klingelte. Der Maulkorb ist drauf, sagte Angela. Ich ging zurück und sah einen torkelnden Ben. Was war passiert? Ben wurde ein Mittel verabreicht, womit er zur Einschläferung hätte betäubt werden sollen. Er stand aber derart unter Strom, dass selbst die mehrfache Dosis nicht ausreichte, ihn zum Schlafen zu bewegen. Egal, dachte ich. Hund ins Auto und losfahren. Schließlich waren meine Hunde ja Zuhause und würden vielleicht auch mal gerne raus.

Es liest sich vielleicht komisch, aber es ist genau so gewesen, wie ich hier schreibe. Ich war noch keine fünf Minuten unterwegs, als ich bemerkte, dass sich Ben seinen Maulkorb abgestriffen hatte! Cool, ein Hund, der Dich nicht leiden kann sitzt ohne Maulkorb hinten in Deinem Auto, sagte ich zu mir selbst. Und was nun? Ich fuhr nach Hause. Dort warteten meine Wuffis sehnsüchtig auf mich. Erst ließ ich meine Hunde raus, dann gab es Kalorien und dann … fuhr ich mit Ben zwei Kilometer in die Feldmark. In einem Feldweg parkte ich mein Auto. Es dauerte nicht lange und ich schlief. Nicht gut. Nicht fest. Aber doch einige Stunden. Als der Tag begann, stieg ich aus dem Auto und öffnete die Heckklappe. Ben saß in der Hundebox. Ziemlich zerknittert sah er mich immer noch stark schwankend an, als wolle er mir sagen: "Pass mal gut auf. Ich bin noch nicht ganz fit, aber wenn ich wieder gerade stehen kann, kümmere ich mich um Dich!"

Naja, aufgrund seiner Erlebnisse mit Menschen, hätten Sie, lieber Leser, wohl auch nicht anders reagiert. So ist der Rest schnell erzählt. Ich erklärte Ben, dass nicht alle Menschen doof sind. Ben hat mich niemals gebissen. Er wurde ein richtig toller Hund. Mein treuer Freund. Und natürlich ein Teil meiner Familie. Hundeversteher wissen, dass Ben schon immer toll war. Aber das wäre dann wieder eine andere Geschichte.

Wir hatten eine wundervolle Zeit, bis der Tag kam, der irgendwann kommt …  

 

 

 

21.04.2024

Warmes Gras als weiches Bett.
Sonnenlicht als Stundenuhr.
Freunde, die sich anvertrau´n.
Das ist mein Traum.

Jemand, der mich gut versteht.
Älter werden ohne Angst und Stück für Stück.
Das nenn´ ich Glück.

 

... und dann ging es auf einmal ziemlch schnell:

  • Sonntag Blutabnahme im Notdienst
  • Zwei Spritzen.
  • Montag wieder zwei Spritzen.

Aber er frisst nicht. Schlimmer noch, er trinkt nichts!

  • Dienstag wieder zum Tierarzt.
  • Die Blutwerte sind da
  • Ultraschall

Krebs. Unheilbar. Überall.

Was tun?
Wir versuchen´s nochmal. Volle Dosis von vielem.

... er frist einfach nicht. Trinken gegen null.  Die Nacht verbringen wir nebeneinander. Er blickt mich mit großen, fragenden Augen an. Die Tierärztin ist bei uns zu Hause. Sie lässt mir Zeit. Viel Zeit. Nach etwa einer Stunde nehme ich meinen dicken Mann in den Arm. Die letzte Spritze bohrt sich in meinen Hund. Der Atem wird schwächer und schwächer ...

 

Mein so sehr geliebter dicker Mann, jetzt hast Du´s geschafft. Unter einem Meer von Tränen bist Du in meinem Arm eingeschlafen. Als schwerst misshandelter Hund habe ich Dich im Alter von acht Monaten zu mir genommen und DIr versprochen, für Dich zu sorgen. Ich habe mein Soll erfüllt, so gut es ging. Du hast mir das zig Fache zurückgegeben.

Ben, Du warst mein ehrlichster und bester Freund. Als Deine Atemzüge kürzer wurden, bat ich Dich, Cindy, Buddy und Rocky der Erste zu grüßen.

Ich hoffe, wir sehen und wieder!

Dein Hunde-Papi